Aktuell 2012-06-01: Literarische Auszeichnungen des Kantons Bern
"Die kantonale deutschsprachige Literaturkommission verleiht 2012 vier Literaturpreise des Kantons Bern für herausragende literarische Arbeiten. Ausgezeichnet werden Christian Kracht, Matthias Nawrat, Paul Nizon und Ursula Timea Rossel. Zwei Anerkennungspreise gehen an Patric Marino und die Literatur-Plattform «Lesesessel».
Die Berner Literatursaison 2011/12 war ertragreich: Dies bezeugen die über 50 publizierten oder öffentlich aufgeführten Werke und Texte von Literaturschaffenden mit Bezug zum Kanton Bern, die von der kantonalen deutschsprachigen Literaturkommission diskutiert und evaluiert worden sind. Um das literarische Schaffen in seiner ganzen Vielfalt und Reichhaltigkeit zu erfassen, wurden Buchpublikationen literarischer Texte aller Gattungen, Theatertexte, Hörbücher, Hörspiele sowie literarische Kleinformen, Spoken Word-Formen und Audio-CDs berücksichtigt. Die Kommission vergibt 2012 vier Literaturpreise des Kantons Bern (je 10 000 Franken) und zwei Anerkennungspreise (je 6 000 Franken).
Literaturpreise 2012 für vier herausragende literarische Arbeiten
In spielerischer Weise erweckt Christian Krachts «Imperium» mit der Geschichte eines Aussteigers in den deutschen Südsee-Kolonien den historischen Abenteuerroman zu neuem Leben und reflektiert damit indirekt die Erlösungsversprechen einer medialisierten Gegenwart. Meisterhaft gelingt es Kracht, das Ineinandergreifen von Utopie und Apokalypse in der Geschichte des 20. Jahrhunderts durch eine glasklare, streng durchkomponierte und zugleich durchwegs ironisch gebrochene Sprache als Tragikomödie nachzuzeichnen.
Ein Verliebter und eine Begehrte finden zusammen und finden sich doch nicht. In eigenwilligen Bildern beschreibt Matthias Nawrat gekonnt, wie sich der namenlose Ich-Erzähler der Frau seiner Träume nähert. Dabei bleibt auch zwischen dem Paar mehr ungesagt als besprochen. Mit «Wir zwei allein» legt der am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel studierende Autor einen feinsinnigen Debutroman über das romantische Streben in einer modernen Liebesbeziehung vor.
In seiner autofiktionalen Verschränkung von Leben und Werk ist das Journal-Werk von Paul Nizon einzigartig. Dieses ist mit der Publikation des Bandes «Urkundenfälschung. Journal 2000–2010» in der Gegenwart angekommen. In einer Zeit, in der alle bloggen, ohne zu fragen, macht der dreisteste Literat der Schweiz die letzten zehn Jahre greifbar: Die eigene poetische Existenz wird zugleich bedingungslos behauptet und schonungslos hinterfragt und legitimiert sich dabei selbst durch bezaubernde Stadtbeschreibungen, Alltagsbeobachtungen und Reflexionen.
In ihrem Romandebüt «Man nehme Silber und Knoblauch, Erde und Salz» entwirft Ursula Timea Rossel eine höchst artifizielle, kunterbunte Phantasmagorie, in der sich Formen und Genres aller Art zu einem hell leuchtenden, überaus geistreichen und stilistisch beeindruckenden Kaleidoskop verbinden: ein «Illusionszauber» (Rossel), der sich allen Kategorisierungen entzieht und ein ungeteiltes, herrliches Lesevergnügen bereitet.
Anerkennungspreise für einen Absolventen des Literaturinstituts und eine Literatur-Plattform
Patrick Marinos Erstling «Nonno spricht» beeindruckt mit konsequent eigenem Stil und grosser Genauigkeit in Beobachtung und Sprache. Auf knapp 80 Seiten schildert Marino – der 2011 den Studiengang in Literarischem Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel abgeschlossen hat – einfach, direkt und wunderbar humorvoll Eindrücke aus zahlreichen Sommer-Besuchen bei seinen italienischen Grosseltern in Kalabrien. Dem Leser eröffnet sich in dem sehr nah am Autobiographischen gehaltenen Text eine lebendige, sinnlich über Gerüche und Essen unmittelbar erfahrbare Welt.
Seit 2008 dient die Literatur-Plattform «Lesesessel» im ONO Schriftstellerinnen und Schriftstellern als Bühne, auf der neue, zuweilen experimentelle Texte aller möglichen Gattungen einem interessierten Publikum präsentiert werden können. Nach den Lesungen entstehen angeregte und weiterführende Diskussionen zwischen den Schreibenden und der Zuhörerschaft. Als Treffpunkt für unbekannte wie namhafte Autorinnen und Autoren hat sich das innovative Format einen wichtigen Platz im Netzwerk des Berner Literaturbetriebes erobert." (Quelle)