literapedia bern
Das Lexikon der Berner Schriftstellerinnen
und Schriftsteller

Kracht, Christian: Unterschied zwischen den Versionen

Aus literapedia bern
KKeine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 121: Zeile 121:
[[Kategorie:Roman,_Epik]]
[[Kategorie:Roman,_Epik]]
[[Kategorie:Quelle_Wikipedia]]
[[Kategorie:Quelle_Wikipedia]]
[[Kategorie:Webarchiv]]

Aktuelle Version vom 12. September 2019, 08:35 Uhr

Christian Kracht (* 29. Dezember 1966 in Saanen) schweizerischer Schriftsteller und Journalist

Leben

Der Schriftsteller Christian Kracht wurde in der Schweiz im Berner Oberland geboren. Sein Vater, der Verlagsmanager Christian Kracht (senior), war mehrere Jahre Generalbevollmächtigter und erster stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Axel-Springer-Konzerns.

Christian Kracht wuchs in der Schweiz, den USA, Kanada und Südfrankreich auf. Er besuchte mehrere internationale Internate, unter anderem die Schule Schloss Salem und die kanadische Lakefield College School in Lakefield, Ontario. Kracht absolvierte im Jahr 1989 das Sarah Lawrence College in Bronxville, New York, USA.

Nach seinem Abschluss am Sarah Lawrence College im Jahr 1989 war Kracht zunächst als Volontär und ab 1991 als Redakteur für das Magazin Tempo tätig.

Mitte der 1990er Jahre ging er nach Neu-Delhi. Als Nachfolger von Tiziano Terzani arbeitete er als Indien-Korrespondent für den Spiegel. Danach lebte er für mehrere Jahre in der ehemaligen jugoslawischen Botschaft in Bangkok. Von dort aus bereiste er verschiedene andere asiatische Länder. Seine Reiseberichte wurden zunächst in der Welt am Sonntag veröffentlicht und im Jahr 2000 unter dem Titel Der gelbe Bleistift bei Kiepenheuer & Witsch publiziert.

Von Herbst 2004 bis Juni 2006 gab Christian Kracht in Kathmandu, wegen der politischen Unruhen in Nepal später in San Francisco, in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Eckhart Nickel mit insgesamt acht Auflagen das Magazin Der Freund heraus. Das Magazin erhielt für seine Gestaltung und seine Titelseiten viel Anerkennung. Im März 2006 wurde es mit dem bronzenen Nagel des Art Directors Club für Deutschland (ADC) in der Kategorie "Zeitschriftengestaltung" und dem LeadAward in Gold in der Kategorie "Cover des Jahres" ausgezeichnet.

Von Mitte November 2006 bis Ende Oktober 2007 war Kracht fester Kolumnist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seine jeden zweiten Samstag erschienene Kolumne trug den Titel "Brief aus..." (manchmal auch "Gespräch mit ..."). Laut Kracht sei es Absicht gewesen, sich ein Jahr lang in der Kolumne mit der "Selbstreferenzialität" zu beschäftigen.[1]

Während dieser Zeit veröffentlichte Kracht in der FAZ u.a. auch eine Reportage über Aleister Crowleys Wohnsitz in Cefalù.[2]

Ende Februar 2007 erschien, als Ergebnis einer Kilimandscharo-Besteigung[3] in Zusammenarbeit mit Ingo Niermann, das Werk Metan, in dem unser Planet Erde von einer unsichtbaren Zivilisationsform bewohnt und beherrscht wird. Die beiden Autoren Kracht und Niermann treten mit dieser Zivilisationsform in Kontakt und werden Zeugen bis dahin nicht für denkbar gehaltener und nicht einmal gedachter Erscheinungen. Ablehnend[4] bis verwundert gaben sich die ersten Rezensionen: "Was die beiden Dichter in der Folge dieser Reise da jedenfalls über die Erneuerung des Menschengeschlechts aus dem Geist des Furzes zusammen-schwadronieren, ist wirklich beunruhigend. Oder auch einfach: grosser Quatsch."[5] Ein anderer Rezensent erkannte in der vermeintlichen Verschwörungstheorie jedoch "eine Parodie des alarmistischen, menschheitsbelehrenden Gross-Sachbuches" und befand: "Wenn man allerdings dieses Buch für einen Scherz hält, dann ist es vielleicht gar kein schlechter."[6]

Christian Kracht lebt mit seiner Frau, der Regisseurin Frauke Finsterwalder, in Florenz und Afrika.[7]

Romane

1995 veröffentlichte Kracht seinen Debütroman unter dem Titel Faserland. Er beschäftigt sich darin mit der zeitgenössischen Konsumkultur, dem Niedergang der sogenannten harmonischen bürgerlichen Gesellschaft der Nachkriegszeit und individuellen und nationalen Identitätskrisen.

Für seinen im September 2001 erschienenen Roman 1979 erhielt Kracht internationale Anerkennung. Er schildert die Fragilität eines als dekadent beschriebenen westlich-grossbürgerlichen Wertesystems und seine Ohnmacht gegenüber den östlich-totalitären Modellen Islamismus und Maoismus. Der Roman erschien in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den Anschlägen vom 11. September 2001, was ihm zusätzliche Beachtung verschaffte.

Unter dem Titel Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten wurde im September 2008 der dritte Roman von Christian Kracht veröffentlicht. Er gehört zum Genre der Alternativweltgeschichten und handelt von einer "Schweizer Sowjet Republik (SSR)", die sich im Dauerkrieg u.a. mit einem Grossteil Resteuropas befindet. Es handelt sich um eine Dystopie, um eine Geschichte von der Endzeit aller Zivilisation.

Mit Imperium erschien im Februar 2012 der vierte Roman Krachts. Imperium erzählt die Geschichte des Aussteigers August Engelhardt aus Nürnberg neu. Engelhardt reiste Anfang des 20. Jahrhunderts in die damalige Kolonie Deutsch-Neuguinea, um dort eine Kokosplantage zu kaufen und zu betreiben. Sein erklärtes Ziel: sich als bekennender Vegetarier ausschliesslich von der Kokosnuss zu ernähren. Auf dieser historisch belegten Gestalt basierend, erzählt Kracht eine Mischung aus Südseeballade, Sehnsuchtsphantasie und Aussteigergeschichte. August Engelhardt sah sich selbst als Weltretter, wollte eine neue Religion stiften, ein eigenes Reich gründen und mit einer kruden Kokosnuss-Philosophie die ganze Welt retten. Imperium erzählt vom Aufbruch, von Hoffnungen, Enttäuschungen und dem grandiosen Scheitern. Der Leser folgt einer Spirale des Wahnsinns, die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts vorwegnimmt. Der Held geht am Ende unter. Er wird vom Vegetarier zum Kannibalen, vom Weltenretter zum Antisemiten und vom gesunden Asketen zum körperlichen Wrack.

Rezeption und Wirkung

Von seinen in 20 Sprachen übersetzten Büchern sagt der Autor, sie seien nur "light entertainment".[8] Jedoch verbirgt sich hinter dieser Aussage Krachts eigener Anspruch: "Das höchste Erreichbare in der Kultur ist nach der Architektur die Komödie. Ich begreife meine Werke humoristisch".[9]

Krachts erster Roman Faserland (1995), wird von einigen Kritikern als ein richtungweisendes Schlüsselwerk deutschsprachiger Popliteratur ab Mitte der 1990er Jahre bezeichnet, andere zogen Parallelen zum Werk Bret Easton Ellis’ oder sahen in Krachts Text gar ein Plagiat.[10]

Kracht selbst stand der Bezeichnung Popliteratur distanziert gegenüber. So hatte er den Abdruck seiner Texte in einer Anthologie zum Thema in seinem Verlag Kiepenheuer & Witsch abgelehnt.[11]

Faserland wird auch in die Tradition des deutschen Bildungsromans gestellt, wofür u.a. die Vielzahl der intertextuellen Bezüge herangezogen wird. Insbesondere sein Ende macht das literarische Spiel mit Thomas Manns Tod in Venedig, mit der Charon-Mythologie, mit Goethes Faust I und Auf dem See sowie mit Klopstocks Freundschaftsode Der Zürchersee augenfällig.

Krachts Bücher enthalten ausserdem Anspielungen auf Thomas Manns Der Zauberberg, Jean Baudrillards Der symbolische Tausch und der Tod, das Werk Ernst Jüngers und David Lynchs, die sanft-ironischen Reiseberichte Robert Byrons und Hergés Die Abenteuer von Tim und Struppi. Im Stil der von Hergé entwickelten ligne claire sind auch die Illustrationen von Dominik Monheim in der 1998 bei Kiepenheuer & Witsch in Köln erschienenen Erstausgabe der Ferien für immer gehalten, einem gemeinsam mit Eckhart Nickel verfassten Brevier über "die angenehmsten Orte der Welt".

1999 stellt Kracht fest: "Ich hab keine Ahnung, was das sein soll: Popliteratur."[12] In einem Interview zur Veröffentlichung von Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten sagte Kracht: "Aber ich fühle mich […] zu alt, um Konsumgüter und Markennamen in meinen Büchern zu erwähnen. […] Zuerst dachte ich, eine leichte Verneigung vor dem medialen Konstrukt der Popliteratur hineinschreiben zu wollen, ein letztes Aufbäumen durch die Erwähnung der Parisienne-Zigarette, aber was soll’s? Ich habe es zum Glück herausgestrichen – nichts sollte mehr daran erinnern, dass man mir einst vorwarf, bereits auf der allerersten Seite von Faserland tauchten zehn bis zwölf Markennamen auf."[13]

Die Umschlaggestaltung seiner Bücher lässt jedoch auf weit verzweigtere Verbindungen zu Pop schliessen, als von Kracht behauptet wird. Der Umschlag des Romans 1979 wurde z.B. vom britischen Grafiker Peter Saville gestaltet, Gründer von Factory Records und einflussreicher Gestalter der Albencover diverser Musikgruppen wie Joy Division, New Order und Suede. Die Hörbuch-Version von 1979 wurde vom britischen Grafiker Mike Alway, Chef des legendären El-Plattenlabels Momus, (The Monochrome Set) und Cherry Red Records gestaltet. Des Weiteren sind auf zwei seiner Bücher Gemälde des zeitgenössischen norwegischen Malers Odd Nerdrum abgebildet, der behauptet, seine Bilder sollen nicht als Kunst verstanden werden, sondern als Kitsch. Dennoch werteten die Kritiker Krachts Roman 1979 als Abgesang auf die Popliteratur. Man sah Kracht auf dem Weg "in Richtung echten Ernst".[14]

Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, erschienen 2008, ist die literarische Erfindung eines alternativen Verlaufs der Weltgeschichte seit dem 1. Weltkrieg. Auf die Frage, ob sein dritter Roman auch sein letzter sei, antwortete Kracht: "Faserland, 1979 und nun der neue bilden sicherlich eine Art Triptychon, das mir nun beendet erscheint. Problematisch ist sicherlich das Schicksal des Künstlers, der nicht aufhören kann und dann nie wieder seine Blütezeit erreicht."[13]

International wird bei Kracht vor allem die Freude an der "Provokation" (Nora Fitzgerald) gesehen.[15]

Werke

  • Faserland (Roman), 1995
  • 1979 (Roman), 2001
  • Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten (Roman), 2008
  • Imperium (Roman), Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, ISBN 978-3462041316.
  • Ferien für immer (Reiseberichte), zusammen mit Eckhart Nickel), 1998
  • Mesopotamia. Ein Avant-Pop-Reader (als Herausgeber, Anthologie), 1999
  • Tristesse Royale (zusammen mit Joachim Bessing, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg und Benjamin von Stuckrad-Barre), 1999
  • Der gelbe Bleistift (Reiseberichte), 2000
  • Die totale Erinnerung. Kim Jong Ils Nordkorea (Bildband, zusammen mit Eva Munz und Lukas Nikol), 2006
  • New Wave. Ein Kompendium 1999-2006, 2006
  • Metan (zusammen mit Ingo Niermann), 2007
  • Gebrauchsanweisung für Kathmandu und Nepal (Reiseberichte, zusammen mit Eckhart Nickel), 2009, Piper-Verlag, ISBN 3492275648
  • Five Years: Briefwechsel 2004-2009. Band 1: 2004-2007 (zusammen mit David Woodard), 2011, Wehrhahn-Verlag, ISBN 978-3865252357

Krachts Werke wurden ins Dänische, Englische, Französische, Russische, Italienische, Polnische, Koreanische, Niederländische, Estnische, Litauische, Lettische, Spanische, Japanische, Arabische, Hebräische, Kroatische, Schwedische, Tschechische und Bulgarische[16] übersetzt.

Hörbücher

  • Liverecordings (zusammen mit Benjamin von Stuckrad-Barre, Harald Schmidt und Christian Ulmen), 1999
  • Faserland, 2000
  • 1979, 2002
  • Das Sobhraj Quartett. Asiatische Reisenotizen (zusammen mit Eckhart Nickel), 2004
  • Das Jagdgewehr von Yasushi Inoue (zusammen mit Sandra Schwittau, Mavie Hörbiger und Hannelore Elsner), 2005
  • Frühstück bei Tiffany von Truman Capote, 2007
  • Weisse Nacht von David Schalko, 2010 [17]
  • Triptychon gelesen von Dirk von Lowtzow, Schorsch Kamerun und Dieter Meier, swissandfamous Verlag 2011

Auszeichnungen

  • Axel-Springer-Preis für junge Journalisten 1993
  • Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar 2009
  • Literaturpreis des Kantons Bern 2012 für den Roman Imperium
  • Wilhelm-Raabe-Preis für Imperium
  • Hermann-Hesse-Literaturpreis 2016
  • Schweizer Buchpreis 2016

Literatur (Auswahl)

  • Thomas Borgstedt: Pop-Männer. Provokation und Pose bei Christian Kracht und Michel Houellebecq. In: Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Claudia Benthien und Inge Stephan. Köln: Böhlau 2003, S. 221-247, ISBN 3-412-10003-X
  • Christian Heger: Tim, Struppi und die Barbourjacke. Über Christian Kracht und den postmodernen Ennui. In: Im Schattenreich der Fiktionen: Studien zur phantastischen Motivgeschichte und zur unwirtlichen (Medien-)Moderne / 2010, AVM Verlag, München, ISBN 978-3-86306-636-9
  • Brigitte Krüger: Intensitätsräume. Die Kartierung des Raumes im utopischen Diskurs der Postmoderne: Christian Krachts "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten". In: Raum und Gefühl. Der Spatial Turn und die neue Emotionsforschung, Gertrud Lehnert (Hg.), 2011, Transcript-Verlag, Bielefeld, ISBN 978-3-8376-1404-6
  • Iris Meinen: Wertherland. Krachts Faserland in der Tradition des Werther. In: "Und wer bist du, der mich betrachtet?" Populäre Literatur und Kultur als ästhetische Phänomene, Helga Arend (Hg.), 2010, Aisthesis Verlag, Bielefeld, ISBN 978-3-89528-814-2

Einzelnachweise

  1. Siehe Kracht, "Brief aus der Vergangenheit, letzter Teil", FAZ vom 20. Oktober 2007.
  2. Christian Kracht und David Woodard, "Cefalù oder der Geist der Goldenen Dämmerung", FAZ vom 24. März 2007
  3. Siehe hierzu auch die Bildreportage von Kracht und Niermann, „Kilimanjaro“, in Qvest, Nr. 23 (Dez. 06/Jan. 07), S. 59-71.
  4. So Harald Peters in der Welt am Sonntag vom 4. März 2007, „Über kleine und grössere Stinker“
  5. Volker Weidermann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 4. März 2007, S. 30
  6. Christoph Bartmann, "Eine grosse Weltatemtheorie", Süddeutsche Zeitung vom 16. April 2007, S. 16.
  7. Interview in der ARD-Sendung Druckfrisch, 25.03.2012 / http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/druckfrisch/sendung/2012/christian-kracht-imperium100.html
  8. Interview mit Volker Weidermann und Edo Reents, "Ich möchte ein Bilderverbot haben", in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 30. September 2001
  9. Interview von Daniel Arnet, "Kim Jong Kracht", in Facts vom 21. September 2006
  10. Siehe etwa Ina Hartwig, "Standpunkt verschleiert" in der Frankfurter Rundschau vom 23. Dezember 2003
  11. Siehe Kerstin Gleba und Eckhard Schumacher (Hrsg.), Pop seit 1964, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2007, S. 398.
  12. Interview, zusammen mit Benjamin von Stuckrad-Barre, in der Zeit, „Wir tragen Grösse 46“, Nr. 37/1999
  13. 13,0 13,1 "Ich denke immer an den Krieg", Interview mit der Zeitschrift Neon, Oktober 2008
  14. So Stefan Zweifel, „Trash Total“, in Facts vom 7. April 2005
  15. Nora Fitzgerald: For Young German Writers, All is Ich. nytimes.com vom 24. Juli 2003, abgerufen am 6. Mai 2012
  16. Siehe http://www.kiwi-verlag.de/322-0-23-12-2008-fantastisch-christian-kracht-in-russland.htm
  17. http://www.wdr5.de/sendungen/buecher-das-wdr-5-literaturmagazin/s/d/13.03.2010-22.05.html

Weblinks

Bestände UB Bern

Quellen